Persönlichkeitsstörungen
Die Persönlichkeit eines Menschen ist Ausdruck seiner Individualität und umfasst all seine Wesensmerkmale und Eigenschaften. Dabei ist der Begriff „Persönlichkeit“ im psychiatrisch-psychologischen Sinne dimensional zu verstehen; er reicht von einem bestimmten Persönlichkeitsstil über eine möglicherweise bestehende Persönlichkeitsakzentuierung bis hin zu einer manifesten Persönlichkeitsstörung.
Bei Menschen mit Persönlichkeitsstörungen sind bestimmte Merkmale ihrer Persönlichkeit, ihrer Beziehungs- und Verhaltensmuster in besonderer Weise ausgeprägt und unflexibel. Es geht um tief verwurzelte, anhaltende, meist in der Kindheit geprägte, seit der Jugend vorhandene und seit dem Erwachsenenalter manifest bestehende Erlebensmuster, die sich in starren Reaktionen auf unterschiedliche persönliche und soziale Lebenslagen zeigen. Menschen mit Persönlichkeitsstörungen weichen in ihrem Wahrnehmen, Denken, Fühlen und in ihrer Beziehungsgestaltung dauerhaft von der Mehrheit der Menschen (einer vergleichbaren Bevölkerungsgruppe) ab. Ihre Muster sind stabil, sie beeinträchtigen soziale Beziehungen und führen letztlich nicht nur bei den Betroffenen, sondern oft auch bei ihren Mitmenschen zu Leidensdruck. Die Häufigkeit von Persönlichkeitsstörungen in der Gesamtbevölkerung ist nur begrenzt erforscht. Nach aktueller Datenlage gehen wir in Deutschland von einer Prävalenz von ca. 9% aus, allerdings ist diese in der Gruppe der behandelten psychiatrischen Patienten mit 40-60% deutlich höher.
Oft sind es reaktiv depressive Symptome (durch Konflikte, nach Trennungen u.v.a.), auch komorbide Störungsbilder (z. Bsp. Abhängigkeitserkrankungen, Essstörungen) oder gezielte selbstschädigende Symptome (Selbstverletzungen, Suizidversuche), die Menschen mit Persönlichkeitsstörungen in eine ambulante oder stationäre psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung führen. Aufgrund der berichteten Symptomatik, der erhobenen Vorgeschichte, der Fremdanamnese von Angehörigen, der beobachteten und erlebten Beziehungsgestaltung und mithilfe spezieller Testdiagnostik (SCID II, PSSI o.a.) kann dann die Identifizierung eines Persönlichkeitsstils, die Diagnose einer Persönlichkeitsakzentuierung oder einer Persönlichkeitsstörung erfolgen. Im Gegensatz zu der Annahme, dass dies für einen Betroffenen kränkend oder beschämend sein muss, erleben wir oft, dass die Diagnose auch eine große Entlastung dahingehend sein kann, dass Betroffene erstmalig einem Verständnis und einer Akzeptanz dessen begegnen, was sie selbst u./o. ihre Mitmenschen dauerhaft belastet, bisher aber nicht in Worte gefasst und nicht eingeordnet werden konnte.
Die häufigsten Persönlichkeitsakzentuierungen und Persönlichkeitsstörungen , die uns in der stationären Arbeit begegnen, sind dependente, selbstunsichere, narzisstische, zwanghafte, histrionische und emotional-instabile (Borderline), seltener schizoide, dissoziale und paranoide. In unserer Klinik arbeiten wir methodenübergreifend verhaltenstherapeutisch, tiefenpsychologisch und systemisch. Ein integratives Therapiekonzept ermöglicht es, in einem intensiven und beziehungsdichten Prozess indikationsspezifisch konfliktzentriert oder strukturbezogen auf die Beziehungs- und Verhaltensmuster eines Patienten einzugehen, biografische Bezüge zu verstehen und die vorhandenen inneren Konflikte sowie strukturellen Defizite zu bearbeiten. Dies ist sowohl verhaltenstherapeutisch (z. Bsp. mittels Schematherapie oder spezieller Manuale, wie dem DBT für Borderline), tiefenpsychologisch (z.B. übertragungsfokussiert) oder systemisch (Paar – und Familiengespräche , in speziellen Gruppentherapien) möglich. Ziel ist es, schwierige bzw. gestörte Beziehungs- und Verhaltensmuster zu „entschärfen“ und letztlich korrigierende Beziehungserfahrungen zu ermöglichen, die nachfolgend in den Alltag transferiert werden können, wozu wiederum Belastungserprobungen dienen (siehe Therapiekonzept). Die Behandlung von Persönlichkeitsstörungen beinhaltet meist einen jahrelangen Psychotherapieprozess, für welchen im stationären Setting erste Grundlagen (Krankheitsakzeptanz, Abnahme depressiver Symptome, Abstinenz von Alkohol oder Drogen, Verzicht auf selbstverletzendes Verhalten, Stabilisierung der Affektregulation, Verbesserung der Selbstwahrnehmung) erreicht und Weichen gestellt werden. Bei bestimmten Persönlichkeitsstörungen und komorbiden Krankheitsbildern (der Borderline PS, komplexen posttraumatischen Belastungsstörungen, Essstörungen, Abhängigkeitsproblematiken) arbeiten wir mit individuell ausgearbeiteten Therapieverträgen, in denen u.a. die Therapiedauer (oft 12 Wochen), realistische Therapieziele, der Umgang mit den Symptomen (u.a. Selbstverletzungsdruck), der therapeutische Rahmen und die Konsequenzen der Nicht-Einhaltung therapeutischer Absprachen definiert sind.
Entsprechend der Schwere der Symptomatik und komorbider Störungsbilder (Depressivität, innere Unruhe, Anspannung, Selbstverletzungsdruck, u.v.m.) kommen auch in der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen Psychopharmaka zum Einsatz. Über deren Indikation, Wirkweise, mögliche Nebenwirkungen klären wir unsere Patienten ausführlich auf (siehe Behandlungskonzept).